„Die meisten Altcoins brauchen wir nicht“ – Mirco Recksiek von Bitcoin2Go im Interview

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Aktualisiert: 26. September 2022, 16:51 Uhr

Sara Zinnecker
Redakteurin

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Auch wenn der meteorologische Winter offiziell erst im Dezember beginnt, hat der Winter im Kryptosektor bereits vor längerer Zeit angefangen. Investoren warten scheinbar vergeblich auf Kursgewinne. 

Zeitgleich sorgten in der EU neue Regulierungsmaßnahmen für Schlagzeilen. Der eben abgeschlossene Ethereum Merge war eines der größten Ereignisse bislang im Kryptosektor. Gerade ist also eine Menge los.

Forbes Advisor Deutschland hat mit Mirco Recksiek über die aktuelle Marktlage gesprochen. Im Interview erklärt der ehemalige Blockchain-Berater und Gründer der Krypto-Wissensplattform Bitcoin2Go unter anderem

  • ob Anleger im aktuellen Bärenmarkt Kryptowährungen nachkaufen sollten,
  • welche Altcoins überleben könnten,
  • welche Chancen Regulierung von Kryptowerten im Euroraum bietet und
  • wie Kryptowährungen Energie schaffen können.

Aktueller Bärenmarkt

Forbes Advisor: Hallo Mirco, in der ersten Jahreshälfte ist der gesamte Kryptomarkt abgestürzt. Bitcoin und Co. konnten sich davon nur kurzfristig erholen. Wie nah sind wir dem Ende des Bärenmarktes?

Mirco Recksiek: Der Bärenmarkt wird uns wohl noch ein ganzes Stück begleiten. Die Situation der letzten Monate an den Finanzmärkten hat deutlich gezeigt, dass Bitcoin und Kryptowährungen an den Aktienmarkt gekoppelt sind. Hellt sich hier die aktuelle Lage nicht auf, werden wir noch lange in einem Bärenmarkt bleiben. 

Was unterscheidet den jetzigen Bärenmarkt von vorherigen Zyklen?

Wir sind im Kryptomarkt das erste Mal in einem „echten“ Bärenmarkt. Denn während die letzten 12 Jahre vor allem durch lockere Geldpolitik geprägt waren, bewegt sich diese nun in eine strengere Richtung. Damit wird es den Risiko-Assets, und dazu zählen Bitcoin & Co., definitiv an Zugkraft fehlen. 

Wann könnte es wieder aufwärts gehen?

Auch dieses Mal könnte es das Halving 2024 sein, das die nächste bullische Phase für Krypto einläutet. 

(Anm. der Redaktion: Beim Bitcoin-Halving halbiert sich die Anzahl der Bitcoins, die die Miner pro Block als Belohnung erhalten. Dies ist alle 210.000 Blöcke bzw. rund alle vier Jahre der Fall. Das führt dazu, dass immer weniger neue Bitcoins geschürft werden und die Bitcoin-Anzahl begrenzt ist). 

Allerdings sollte es dann auch wieder nach oben gehen, weil wir die Inflation bis dahin wieder in den Griff bekommen haben – hoffentlich. 

Der Ausdruck „Buy the Dip“ ist im Kryptosektor sehr präsent und beschreibt den Kauf eines Assets zum Zeitpunkt eines fallenden Kurses bzw. am tiefsten Punkt. Sollte man daher stets einen Dip kaufen? 

Buy the Dip“ ist tatsächlich nicht nur ein Meme, sondern eine echte Handelsstrategie. Nach dem „Double Down“-Prinzip soll man also so in schlechten Marktphasen seine langfristigen Positionen stärker ausbauen. 

In der Kryptoszene wird der Begriff jedoch sehr leichtsinnig verwendet und entsprechend auch von unerfahrenen Investoren gelebt. 

Die Strategie geht nur auf, wenn ein Asset langfristig über eine Dekade performen kann. Die meisten Kryptoanlagen werden dies aber wohl nicht schaffen. Vermeintlich „günstige“ Preise stellen dann einen „schleichenden Tod“ dar. 

Ich empfehle eine solche Strategie daher nur bei Assets, die eine ausreichende Vergangenheit haben, eine Beständigkeit aufweisen können, zum Beispiel Bitcoin und Ethereum.

Welche Alternative zu dieser Strategie gibt es?

Gerade für Anfänger und wenig aktive Anleger am Markt ist ein Dollar-Cost-Average (DCA) bzw. Sparplan die richtige Wahl. Hier profitiert man auch von fallenden Kursen – das haben wir in unserem Bitcoin-Sparplan-Rechner dargestellt. 

Eine weitere Möglichkeit wäre eine „All-in“ Strategie, aber hier empfehle ich dann doch eher das Casino. Vergessen sollte man nie, dass es sich bei einer Investition in Krypto stets um eine Wette handelt. Ob diese aufgeht, zeigt uns die Zukunft.

Altcoins und der Kryptomarkt in fünf Jahren

Mirco, neben Bitcoin existieren mehr als 20.000 weitere Coins, sogenannte Altcoins. Immer wieder kommt die Frage nach dem Nutzen auf. Haben Altcoins eine Zukunft oder beginnt und endet Krypto effektiv mit Bitcoin?

Die Bitcoin-Blockchain ist optimal für den Werttransfer und als Wertspeicher geeignet, weil sie als einzige vielleicht wirklich dezentral und sicher genug ist. Alternative Coins (Altcoins) können durchaus eine Zukunft haben, aber nicht unbedingt als Währung. 

Altcoins bilden dagegen oft den Wert des zugrunde liegenden Blockchain-Netzwerks oder einer Applikation ab. Ein Netzwerk oder eine Applikation steigen im Wert mit der Anzahl seiner Nutzer. Entsprechend dann auch der Wert eines Coins (Anteil am Netzwerk).

Die meisten Altcoins brauchen wir nicht. Es werden diejenigen bleiben mit Applikationen und Blockchains, die den Weg für die Zukunft in ein Internet der Werte ebnen: Web3. Dafür braucht es eben noch mehr Entwicklung und Zeit – leider wird es auf dem Weg dahin auch viel Müll und nutzlose Coins geben.

Wo siehst Du den Bitcoin sowie den gesamten Kryptomarkt in fünf Jahren?

Deutlich weiter als heute. Ein Blick fünf Jahre zurück zeigt, wie schnell sich diese digitale Revolution weiterentwickelt. Vor fünf Jahren war noch die Frage nach dem nächsten Bitcoin einer der Haupttreiber der Spekulationsblase. 

Heute kommen sehr viel mehr Use-Cases zum Tragen und damit eben auch immer mehr Nutzer, die den Weg auch für neue Investoren ebnen und eine Neubewertung aller Kryptoassets erst möglich machen. 

Aber auch in fünf Jahren sind wir noch weit davon entfernt, dass sich Krypto in der breiten Masse durchsetzt. Geldpolitik, Regulierung und die Kryptoszene selbst werden diesen Weg erst noch ebnen. 

Regulierung von Kryptowerten

In der EU sind zahlreiche Reformen in Bezug auf Kryptowährungen geplant. Die wichtigsten sind MiCa und das „Transfers of Funds and certain Crypto-Assets Regulation (TFR)“-Gesetz. 

Was ist MiCa?

MiCa schafft einen einheitlichen Rahmen für die Regulierung von Kryptowährungen in der EU. Beinahe wäre es dabei zu einem Dienstleistungsverbot für Proof-of-Work-basierte Kryptowährungen wie Bitcoin gekommen. Diese Version des MiCa-Entwurfes schaffte es allerdings nicht durch das Parlament. Einen Vorteil hat der MiCa-Entwurf für die Nutzer von Kryptobörsen: Anbieter von Krypto-Dienstleistungen werden beispielsweise dazu verpflichtet, strenge Vorgaben zum Schutz der Wallets der Verbraucher zu erfüllen. Verliert eine Kryptobörse die Kryptowerte von Anlegern, werden sie dafür haftbar gemacht.

Was ist das TFR-Gesetz?

Mirco, mit MiCA und TFR hat die EU ein umfangreiches Framework entwickelt, wie man Kryptowährungen im Euroraum regulieren kann. Wie stehst Du dazu?

Die Regeln sind dabei nicht so hart ausgefallen wie erwartet. Das ist ein guter Anfang. Regulierung wird den Euro-Raum meiner Meinung nach nicht zwingend schwächen. Sondern sie verbessert die Planbarkeit für Krypto-Unternehmen und öffnet die Tore für mehr Investitionen – für Unternehmen und Anleger.

Einen Nachteil hätte der Krypto-Standort EU nur dann, wenn andere Länder nicht mitziehen. Entscheidend wird der Ton der USA sein. Und der fällt Krypto gegenüber schon länger nicht mehr so skeptisch aus.

Viele Krypto-Enthusiasten stehen der Regulierung dennoch negativ gegenüber. Sie sehen die Dezentralität und Zensurresistenz bedroht. 

Dezentralität und Zensurresistenz sind keine Punkte, die durch Regulierung zwingend eingeschränkt werden müssen. Das Netzwerk im Kern bleibt dezentral und frei. Nur die Zugänge ändern sich. Bitcoins Freiheit kann nie nachhaltig eingeschränkt werden.

Fakt ist aber: Damit Kryptowährungen in der breiten Masse ankommen, braucht es mehr Kontrolle und Vertrauen, welches in unserer heutigen Welt immer noch durch zentrale Instanzen und Regierungen geschaffen wird. Ein Umstand, mit dem sich die Szene auseinandersetzen muss.

Hoher Energiebedarf

Kritiker bemängeln den hohen Energiebedarf des Bitcoin-Netzwerkes. Wäre ein Wechsel auf Proof-of-Stake (POS) wie bei Ethereum die Lösung?

Ganz klar Nein. Denn für ein hartes Geld braucht es, wie schon bei Gold, „harte“ Arbeit. Proof-of-Stake muss erst noch beweisen, dass es nicht zu viel Angriffsfläche bietet und der Dezentralität langfristig schadet.

Die eigentliche Frage ist doch, wofür wir die Energie auf dem Planeten eigentlich wirklich benötigen. Auch das klassische Finanzsystem benötigt sehr viel Energie. 

Und das Bitcoin-Netzwerk setzt sich sogar aktiv dafür ein, die Energie, die durch Bitcoin-Mining entsteht, nachhaltig einzusetzen.

Wie entsteht denn Energie bzw. wie kann man diese einsetzen?

Da geht es vor allem um die Abwärme, die durch Mining-Geräte entsteht. Ein konkretes Beispiel ist das kanadische Unternehmen MintGreen, das für die Stadt North Vancouver Wärmeenergie liefert. Da lässt sich eine Tendenz zur Nachhaltigkeit erkennen.

Dennoch benötigt das Bitcoin-Netzwerk eben viel Energie, richtig?

Richtig, das muss aber per se nicht schlecht sein, wenn sie einen Zweck erfüllt – in dem Fall sorgt es für die Sicherheit. Zudem existiert für Miner mittlerweile ein enormer Kosten- und Konkurrenz-Druck. 

Es ist für sie von Vorteil, günstigere Energie aus nachhaltigen Quellen zu nutzen. Laut einer Studie des Bitcoin Council aus dem zweiten Quartal 2022, setzen Bitcoin-Miner zu knapp 60 Prozent auf Erneuerbare Energien.

Vielen Dank für das Gespräch, Mirco.

Über Mirco Recksiek und Bitcoin2Go:

Mirco Recksiek stellte im Alter von 14 Jahren sein erstes Portfolio zusammen und ist seit jeher ein Fan des Finanzmarktes. Seit 2016 ist er im Kryptosektor aktiv und agierte nach seinem Master in BWL zunächst als Blockchain-Berater. Zusammen mit Daniel Wenz ist er einer der Mitgründer von Bitcoin2Go – einer Wissensplattform über Kryptowährungen.

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